Die vergessene Entdeckerin von Autismus: Grunya Sukhareva

Die Entdeckerin: Ein humanistischer Blick auf Autismus

Beispiele für Sukharevas menschlichen Ansatz:

  1. Individualisierte Unterstützung: Sukhareva betonte die Notwendigkeit, jedes Kind als einzigartiges Individuum zu betrachten und die Behandlung entsprechend anzupassen. Sie erkannte die unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente der Kinder an und versuchte, ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten zu fördern.
  2. Integrative Ansätze: Sie nutzte eine Kombination aus medizinischen, psychologischen und pädagogischen Ansätzen, um die bestmögliche Unterstützung zu bieten. Dabei legte sie Wert auf die Einbindung der Familien in den therapeutischen Prozess.
  3. Förderung: Sukhareva förderte die Kinder, indem sie ihre Fortschritte anerkannte und ihre Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein stärkte.

Kanners und Aspergers defizitäre und ideologisch geprägte Sichtweisen

Im Gegensatz zu Sukhareva neigten Leo Kanner und Hans Asperger dazu, Autismus hauptsächlich aus einer defizitären Perspektive zu betrachten. Kanner beschrieb Autismus in seiner ersten Veröffentlichung 1943 als „frühkindlichen Autismus“ und betonte die „fundamentale Störung der affektiven Kontaktaufnahme“, was oft zu einer pathologisierenden Sichtweise führte.

Beispiele für Kanners und Aspergers problematische Ansätze:

Leo Kanner:

  • Defizitorientierung: Kanners Beschreibungen betonten die sozialen und kommunikativen Defizite der Kinder stark, was zu einer Stigmatisierung und Ausgrenzung führen konnte.
  • Elternschuld-Hypothese: Kanner unterstützte teilweise die Theorie, dass kalte und distanzierte Eltern („Refrigerator Mothers“) für die Entwicklung von Autismus verantwortlich seien, was zu Schuldzuweisungen und Missverständnissen führte.

Hans Asperger:

  • Völkische Ideologie: Asperger arbeitete in der Zeit des Nationalsozialismus in Wien und seine Arbeit war teilweise von den ideologischen Vorstellungen dieser Zeit beeinflusst. Einige seiner Äußerungen und Entscheidungen, wie die Empfehlung von „unheilbaren“ Kindern zur Euthanasie, werfen ein dunkles Licht auf seine Rolle.
  • Defizitorientierte Klassifikation: Auch Asperger beschrieb Autismus als eine Störung mit primären Defiziten in der sozialen Interaktion und Kommunikation, was zu einer einseitigen und reduzierenden Sichtweise führte.

Diese historischen Kontexte haben dazu geführt, dass viele Autisten heute den Begriff „Asperger“ ablehnen, da er mit einer problematischen Vergangenheit verbunden ist. Stattdessen bevorzugen sie den neutraleren Begriff „Autisten“.

Trotz der kritischen Aspekte ihrer Arbeit haben sowohl Kanner als auch Asperger zur Weiterentwicklung des Verständnisses von Autismus beigetragen. Kanner brachte Autismus erstmals in die breite wissenschaftliche Diskussion, und Aspergers Beschreibung der legte den Grundstein für das Verständnis von Autismus als Spektrum. Beide trugen wesentlich dazu bei, dass Autismus heute besser verstanden und akzeptiert wird.

Die mangelnde Anerkennung Sukharevas

Ein Hauptgrund, warum die Entdeckerin Sukhareva lange Zeit nicht die verdiente Anerkennung erhielt, liegt in der geopolitischen Situation und der Geschlechterdiskriminierung jener Zeit. Ihre Forschung wurde in den 1920er Jahren in der Sowjetunion veröffentlicht und erst viel später ins Englische übersetzt, was ihre internationale Bekanntheit einschränkte. Zudem spielte ihr Geschlecht eine Rolle: Als Frau in der damaligen Wissenschaftswelt hatte sie weniger Möglichkeiten, ihre Arbeiten international zu verbreiten.

Bezug zur aktuellen politischen Situation

In der heutigen politischen Landschaft, in der rechte Parteien in Europa zunehmend an Einfluss gewinnen, ist es wichtiger denn je, auf die Werte von Menschlichkeit und Integration hinzuweisen. Sukharevas Ansatz, der auf Verständnis und Unterstützung basiert, steht im starken Kontrast zu den ausgrenzenden und nationalistischen Tendenzen, die heutzutage wieder erstarken. Ihre Arbeit erinnert uns daran, wie wichtig es ist, marginalisierte Gruppen mit Respekt und Empathie zu behandeln.

Fazit

Ein Gastbeitrag von Florian Malicke

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